Freitag, 7. Mai 2021
Die ohnehin als überschaubar zu wertende Liste mit anstehenden Aufgaben ist in der Woche noch kürzer geworden. Ich möchte mich zu einer Zeitspanne hinbewegen, an der einmal alles erledigt ist. In dieser Zeitspanne wird auch nicht mehr diskutiert oder anderweitig kommuniziert, auch ist die Wohnung geputzt, die Wäsche gewaschen und sind die Blumen gegossen oder stehen in einem Arrangement, das Pflege unnötig macht. Ebenso soll aller Wunsch nach Kunst und Kultur für eine Weile schweigen, wird doch ohnehin jede Aussage, jede Meinung, jeder Stil, sogar jede Farbnuance, auf die man sich soeben geeinigt hatte, verdreht und in Zweifel gezogen, soll es ein Rot aus 100m und 100y sein, oder mit nur 95 % Magenta? Oder 90 %? Ich denk' nochmal drüber nach.

Trotz allen Verkrampftseins deutet sich an, dass eine Kunst-Ausstellung, zu der L. und ich eine gemeinsame Arbeit beisteuern, stattfinden kann. Das Thema stand schon lange fest, ich wünschte mir schon lange, L. als Gast zu gewinnen, hatte eine Anfrage aber hinausgezögert, aus Scheu oder Lustlosigkeit, wer weiß das schon noch. Letzte Woche endlich kamen wir zusammen und im künstlerischen Nu hatten wir zwei Arbeiten in ein großartiges Absurdium hinein verknüpfen können. Ich bewundere ihre frische Unverblümtheit, ihre Offenheit, ihre Frechheit. So ein Mensch ist mir schon lange nicht mehr gegegnet! Einige andere Freundschaften hingegen empfinde ich zur Zeit eher besorgniserregend zäh, von unerklärlichen Launen bewegt und deshalb abwählenswert, und auf eine merkwürdige Art bin ich auf der Hut vor Schelte.

Solch eine Schelte kann ich nur erahnen. Meine Gedanken kreisen oft weit außerhalb des Geschehens, auf das sich diese Welt geeinigt hat. Gestern vorm Geldautomaten hatte ich den Eindruck, mir ein Spielgeld aus der Kinderpost ziehen zu wollen. Natürlich befindet sich in der Anlage eine gewaltige Woge von Idee und Technik, eine technokratische Schöpfung ohne Seele, die, wenn man sich ihr bewusst wird, Angst erzeugen kann.

Ich war an einem Sonntag mit dem Bildhauer in der Kiesgrube, einem riesigen, irren Gelände, dessen Schätze tief ausgebuddelt waren, anderes wieder hatte man in Hügeln stehenlassen, um die sich schmale Wege zogen, deren Verlauf uneinsehbar war. So stand ich, während der Bildhauer weiter weg im Sand nach Pflänzlein suchte, allein, als zwischen zwei Böschungen, 20?30 Meter entfernt, ein junger Wolf entlangstrollte, äußerst entspannt, völlig angstfrei, mit weichen Bewegungen und einer Natürlichkeit, die mich tief berührte. Er sah nicht zu mir, sondern hatte seinen Kopf stolz nach vorn gerichtet auf seinen Weg, der ihn dann aus meinem Blickfeld führte. Noch nicht einmal zehn Sekunden dauerte diese Begegnung.

Den ganzen Tag und immer wieder ließ ich diesen Wolf in meinem Geist vorbeischlendern. Ich nehme diesen Ort für mich, schien er zu bedeuten, ich bin Teil der Natur, hierhin gehöre ich!

Was habe ich für eine Sehnsucht, mich ebenso zu fühlen! Mit einer Selbstverständlichkeit hier zu sein, an diesem Ort, ohne mich zu rechtfertigen, ohne Fakten erst abwägen zu müssen. Ohne Aufgaben. Ohne ein besonderes Ziel auf Wegen entlanggehen mit schwingendem Körper, ganz ohne Bündel oder Angst, mit graubraunem Fell, das mir so gut steht.