Donnerstag, 20. Juli 2017
Na, hast du dir Fotos angesehen, frage ich, als ich das Album auf dem Tisch liegen sehe. Ja, antwortet sie mit kleiner Stimme, und meiner Nachfrage, ob es ihr gefallen habe, stimmt sie zu, ja, und sie habe jetzt auch herausgefunden, wer ich denn sei, nämlich die kleine Niedliche, die immer so süß aussah und die Nachbarskinder wären vorbeigekommen und hätten mit mir gespielt. Kein Name, kein weiteres Attribut –

Das Rote Album, Bilder aus den späten 60ern. Nochmal das Hin- und Her, wer Mutter, wer Tochter, wer überhaupt wer. Bilder von ihr hätte sie nicht gesehen, nein. Ich erinnere mich, dass unser Vater uns Schwestern für eine Gartenserie vor Teich, Rose und Beet drapiert hatte, so wie Objekte, in Badeanzügen in dunkel- und hellblau, die den Garten verschönern, und dann knips –

Die Mutter ist sehr still und wir gehen am besten raus, einmal um die große Wiese rolle ich sie, wir sehen das Storchenpaar ganz nah und ich trage den Rest des Tages eine diffuse Traurigkeit in mir. Ich weiß ja, dass sie mich für verschiedene Menschen hält, neulich sogar für ihren kleinen Bruder (wieso siehst du eigentlich aus wie ein Junge), wir hatten auf dem Sommerfest im Pflegeheim ein bisschen getanzt, dazu hatte sie die Betreuerin beispielhaft aus dem Rollstuhl ins Stehen gewuppt, ich hab’s nachgemacht und hatte die kleine Mutter im Arm, einfach ein bisschen mit dem Po wackeln, rate ich, wo doch die Beine nicht mehr, ja sagt sie das Rechte und so weiter, es ist ein bittersüßer Tanz zu Hammondorgelschlagern, die sie alle auswendig kann, dieses ganze Bittersüße will nicht aufhören, ich frage mich, wie lange sie das noch macht, morgen gehen Dudi und ich zum Notar, um das Elternhaus zu verkaufen, und Dudi weint ins Telefon, ob nicht ihr Sohn vielleicht drogenabhängig sei, sie mache sich Sorgen, aber eigentlich sind es Selbstvorwürfe, sie hätte so vieles falsch gemacht, meine Güte, wer soll diese Menschen bloß trösten –

Und die Busenfreundin springt von Thema zu Thema, sie stellt langwierig ausformulierte Fragen, in denen eine mögliche Antwort schon mitschwingt und hört dann meiner schon nicht mehr zu. Und die Bestefreundin verrennt sich in ihrem Vegansein, die nachgemachte Chorizo aus Gluten liegt genauso schwer im Magen wie ihre Filmrecherche über den nahenden Weltuntergang per Polsprung, ich glaube, die Welt ist auch ohne den schon nah am Untergang, völlig selbstgemacht, während ich darauf hoffe, dass mich das Geld aus dem Hausverkauf durch die nächsten fünf bis zehn Jahre bringt, ach, das ist alles so verdammt zukunftszentriert und angstbesetzt, das bin ich doch gar nicht –