Dienstag, 12. Juli 2016
Natürlich das innere Wetter: Langsam legt sich der Sturm, der ein Versuch ist, eine Entscheidung zu treffen. Hat mich angestrengt, das letzte Jahr. Nicht nur die Mutter, die ins Vergessen lebt – da waren auch die Auszubildenden, die mir ans Herz wuchsen und die doch nicht fähig waren, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren. Einblicke in fremde Leben erhalten, tiefer als mir guttut. Einblicke auch zurück in Eigenes, Tiefes. Ist doch schön, wenn die jungen Menschen dir folgen, wenn du sie motivieren kannst. So als läge alles in der eigenen Macht. Meditationen darüber bringen zutage, dass es versteckten Missbrauch gibt, der läuft als Grundtton stets mit: Gute Gefühle sich von den anderen holen, den vermeintlich Bildungsfernen, über denen wir stehen. Ich kommuniziere aber gern auf gleicher Höhe und wenn mir das gelingt, gefällt es allen am besten. Wie mich die Pädagogik-Sprech schon nach kürzester Zeit nervte. Wie ich mit der Buddhistin einen Arbeitsplatz innehabe und sich aus den Diskussionen über die Sinnhaftigkeit dieses Jobs die viel größere Frage ergibt – nämlich nach dem Sinn des Lebens überhaupt.

Es steht noch das Gespräch an, in dem ich erkläre, dass ich das (ohnehin befristete) Anstellungsverhältnis nicht weiterführen möchte. Ich habe ein wenig Angst, dass man mich umstimmen könnte. In meinem Innern befindet sich eine endlose Liste der Pros und Contras dieses mittlerweile von mir Experiment genannten Unterfangens. Die Pros bestehen hauptsächlich aus Spaß haben oder gerne jemandem etwas beibringen, das ich gut kann, unter anderem natürlich auch, monatlich eine feste Summe Geldes zur Verfügung zu wissen. Das eine große Contra, das alle Pros überbügelt, ist: Ich möchte meine Ruhe haben! Wieder frei sein! Keine Sorgen um Lebensläufe, keine schlaflosen Nächte, keine begeisterten Unterrichtsvorbereitungen, die ins Leere laufen, weil niemand kommt. Drogen oder so, verschlafen, kein’ Bock, Magen- und sonstige Verstimmungen, ich weiß nicht, welche Ärzte die Frauen immer gleich krankschreiben, ohne mal nach Gründen zu fragen, das ist wirklich verantwortungslos. Eigentlich ist das ganze Konstrukt Berufsorientierung quatsch, wenn die Teilnehmerinnen eigentlich überhaupt nicht teilnehmen wollen, nicht am System, an der Gesellschaft, letzlich nicht mal am Leben. Ich schaue auf ihre geritzen Unterarme, und weil kein Platz mehr ist, wird oben weitergeritzt. Mein Blick folgt jedem einzelnen Strich, manche sind noch frisch und rot, wie von gestern Nacht. Das trifft dann wieder auf meine eigene Schlaflosigkeit und so sind wir alle bloß Teilnehmerinnen an diesem Projekt, man könte die Rollen auch tauschen, wir sind gegenseitig abhängig voneinander. Eine echte Scharade, ritzen, schauen, beurteilen, weinen, lachen, wichtigtun.

Also, viel gelernt würde ja als Argument reichen. Noch ein Danke hinterher, wen interessieren schon die Feinheiten meiner wochenlangen Grübeleien, oder gar die Kritik, die ich mich weigern würde zu äußern. Eventuell eine Art von ich kann eine qualitätsvolle Ausbildung mit den im Hause befindlichen Werkzeugen und Materialien nicht garantieren. Aller guten Absichten zum Trotz versackt jedes Bemühen, nicht nur meines, irgendwo. Ich kann nur hoffen, dass vielleicht ein winziger Impuls bei einer der Frauen Saat trägt, dass vielleicht ein anerkennender Blick oder Kommentar oder ein Lachen bemerkenswert genug war, ein Herz zu rühren, eine Wendung herbeizuführen, oder einen pädagogischen Wunsch zu erfüllen, denn beide Seiten sind ja voller Hoffnungen und Vorstellungen eines besseren Lebens. Dass dieses Leben dann eine Berufstätigkeit als Hauptziel haben soll, besprechen wir ein anderes Mal. Als gäbe es nichts sonst.