Topic: gelesen
Die Lesung hatte mich sehr aufgewühlt. Zurück blieb ein Gefühl von Versagen und die Frage und was ist mit meinen Talenten? Ich las mich Stunden durch die alten Dokumente des Literaturforums, das ich damals mit den anderen, auch S. war dabei, vollgeschrieben hatte. Zwölf, fünfzehn Jahre ist das her. Es hatte eher die Funktion eines gemeinsamen Blogs, das sogenannte Gästebuch eines tatsächlichen Forums für Literatur. Als dies zu Ende ging, fing Neues an, mit dem eigenen Blog, jeder schrieb für sich. Ob das eine das andere ausgelöst hat, ist schwer zu sagen. Das Gästebuch besteht immer noch, die richtig guten Schreiber, wie S., tauchen dort aber nicht mehr auf. Zurück blieben z. B. G., der weiterhin mit seiner fast unerträglichen Penetranz das Geschehen dominiert und nur wenige andere, die noch lesbar sind.
Ich habe ungefähr zwei Jahre dort mitgeschrieben. Beim Durchscrollen und Suchen lese ich hauptsächlich meine eigenen Sachen, es wäre sonst viel zu viel, ich lese S. und auch Frl. Montez, die ich von damals kenne. Meine Texte sind größtenteils Tagebucheinträge der Reise in die große Stadt und beschäftigen sich mit den Erlebnissen, die mir eine unmögliche und zugleich äußerst romantische Liebschaft bescherte.
Wir Schreiber waren im Aufbruch, damals. Wir wollten hinaus mit unserem Geschriebenen, und dass die Welt nun lesen konnte, was unsere intimsten Gedanken waren, erregte jede/n gleichermaßen. Es entstanden Freundschaften, Liebes- und andere Arten von Beziehungen, genau wie das später unter den bekannten Bloggern üblich war (hab ich mir sagen lassen). Gut gesetzte Worte waren für mich große Schätze, und ich wäre zu Vielem bereit gewesen, würden solche Worte nur für mich erdacht.
Einige meiner eigene Sachen überraschten mich gestern beim neu Nachlesen. Wie gern hatte ich das Lob dafür entgegengenommen. Es war alles drin, Beobachtungsgabe, Frechheit und ein recht reichhaltiges Vokabular, mit dem ich mir Ausdruck zu schaffen vermochte. Und vielmehr noch: das Staunen.
Natürlich fällt einem das Staunen in einer südostasiatischen Metropole leichter als zuhause, wo man jeden Bordstein und jeden Mülleimer kennt. Dort aber sah alles anders aus, die Gesichter der Menschen, die langen Hochhäuser, das Licht, die Insel selbst, auf der das schroffe Leben vor sich hinlärmte. Und die Liebe, die mich mit ihrer Zartheit einfach umhaute, nie wieder so erlebt. Beinahe ein Dutzend Jahre ist es her, dass ich losfuhr und die Erinnerung ist immer noch verdammt leuchtend.
Wo ist das Staunen hin? Ist danach dergleichen nicht mehr passiert?
Als ich ein halbes Jahr später zurückkam, verunglückte eine Freundin, die Fahrerin, mit dem Krad und starb beinahe. Ich trug schwer daran und konnte noch weniger begreifen, dass ihr geliebter Bruder kurz danach wirklich starb, ebenfalls beim Motorradfahren. Ich musste mich losmachen, das Sterben ergründen und ebenso das Leben. Nach einigen odysseehaften Ausflügen in die Esoszene landete ich schließlich nach Monaten und Jahren bei den Yogis und studierte Philosophie – Vedanta, Tantra, die alten Schriften, Meditation und begegnete meinem Lehrer Swami V.
Ich hab das schon mal versucht zu erklären, Yoga ist eine Wissenschaft über das Bewusstsein (und kein Rumgehopse, das ist nur dazu da, den Körper geschmeidig zu halten) und ebenso eine Landkarte durch die Hindernisse, die einem auf dem Weg zur Erleuchtung begegnen. Die nicht unbedingt garantiert wird, die aber klare Definitionen besitzt. Diese Landkarte ist äußerst genau und wenn du sie benutzt und mit ihr nach Innen gehst, gibt es, zumindest theoretisch, keine Fragen mehr.
Keine Fragen. Irgendwann ist wirklich alles durcherklärt, durchnummeriert, verschlagwortet, eingeordnet und durchgequatscht. Jedes Problem, jede unangeneme und auch angenehme Gefühlsregung lässt sich zurückverfolgen auf ein paar wenige Konstanten, du gehst eher und lieber in die Beobachterposition als dich mit dem Durcheinander zu beschäftigen, das menschliches Sein so mit sich bringt. Das heißt nicht, dass es gar keine Beschäftigung damit gibt, aber die Sichtweise ist eine gänzlich andere, entferntere.
Es ist etwas traurig vielleicht eingestehen zu müssen, dass die yogische Sichtweise dich des Staunens berauben kann. Die Lust, sich auf Intensives einzulassen, schwindet, weil aller Voraussicht nach das Intensive nur aus bestimmten Gründen intensiv sein wird, die du im Vorfeld klärst und deshalb ein Einlassen unnötig oder sogar unmöglich machen. Das gilt sicher für die Liebe, die Menschen so als Liebe bezeichnen, aus Gier oder Eitelkeit betrieben, und solcher Grundgefühle mehr, die wiederum aufgelistet und durchgequatscht wurden bis auf die Knochen.
Was meine Texte von damals und auch die der Anderen auszeichnet, ist die Bedingungslosigkeit, mit der wir uns einlassen und schreiben. Wir waren bereit zu erforschen, was da ist und uns nicht ruhen lässt. Da wurde gefühlt, gelacht und geweint, auch gestritten und reingegrätscht, mit einer Eindringlichkeit, zu der ich heute einfach keine Lust mehr habe. Sie würde mir nämlich die Stille nehmen, nach der es mich noch mehr sehnt.
Stimmt das denn? Ist da kein anderes Sehnen mehr? Kommt das Staunen aus der Erfüllung der Sehnsucht?
Sicherlich, jene Liebe hat viele Aspekte meiner eigenen Sehnsucht stillen können und vielleicht auch die der geliebten Person, trotzdem blieb die Liebe begrenzt – örtlich, zeitlich, alles-lich.
Wenn ich jetzt nochmal darüber lese, erstaunt mich eines: mein Staunen. Du bist der stürmische Morgen, so ganz plötzlich wehst du zu mir herüber, du Eskimoauge mit dreieckigen Brauen darüber als Segel, du Wüstenwind, der fremde Gewürze bringt aus dem Norden, du sonnenstrahlendes Lachen, du südliches Kissen, um das ich mich schlinge und dessen Goldstaub auf mir liegt den ganzen Tag. Wir unentdecktes Land.
Ich habe ungefähr zwei Jahre dort mitgeschrieben. Beim Durchscrollen und Suchen lese ich hauptsächlich meine eigenen Sachen, es wäre sonst viel zu viel, ich lese S. und auch Frl. Montez, die ich von damals kenne. Meine Texte sind größtenteils Tagebucheinträge der Reise in die große Stadt und beschäftigen sich mit den Erlebnissen, die mir eine unmögliche und zugleich äußerst romantische Liebschaft bescherte.
Wir Schreiber waren im Aufbruch, damals. Wir wollten hinaus mit unserem Geschriebenen, und dass die Welt nun lesen konnte, was unsere intimsten Gedanken waren, erregte jede/n gleichermaßen. Es entstanden Freundschaften, Liebes- und andere Arten von Beziehungen, genau wie das später unter den bekannten Bloggern üblich war (hab ich mir sagen lassen). Gut gesetzte Worte waren für mich große Schätze, und ich wäre zu Vielem bereit gewesen, würden solche Worte nur für mich erdacht.
Einige meiner eigene Sachen überraschten mich gestern beim neu Nachlesen. Wie gern hatte ich das Lob dafür entgegengenommen. Es war alles drin, Beobachtungsgabe, Frechheit und ein recht reichhaltiges Vokabular, mit dem ich mir Ausdruck zu schaffen vermochte. Und vielmehr noch: das Staunen.
Natürlich fällt einem das Staunen in einer südostasiatischen Metropole leichter als zuhause, wo man jeden Bordstein und jeden Mülleimer kennt. Dort aber sah alles anders aus, die Gesichter der Menschen, die langen Hochhäuser, das Licht, die Insel selbst, auf der das schroffe Leben vor sich hinlärmte. Und die Liebe, die mich mit ihrer Zartheit einfach umhaute, nie wieder so erlebt. Beinahe ein Dutzend Jahre ist es her, dass ich losfuhr und die Erinnerung ist immer noch verdammt leuchtend.
Wo ist das Staunen hin? Ist danach dergleichen nicht mehr passiert?
Als ich ein halbes Jahr später zurückkam, verunglückte eine Freundin, die Fahrerin, mit dem Krad und starb beinahe. Ich trug schwer daran und konnte noch weniger begreifen, dass ihr geliebter Bruder kurz danach wirklich starb, ebenfalls beim Motorradfahren. Ich musste mich losmachen, das Sterben ergründen und ebenso das Leben. Nach einigen odysseehaften Ausflügen in die Esoszene landete ich schließlich nach Monaten und Jahren bei den Yogis und studierte Philosophie – Vedanta, Tantra, die alten Schriften, Meditation und begegnete meinem Lehrer Swami V.
Ich hab das schon mal versucht zu erklären, Yoga ist eine Wissenschaft über das Bewusstsein (und kein Rumgehopse, das ist nur dazu da, den Körper geschmeidig zu halten) und ebenso eine Landkarte durch die Hindernisse, die einem auf dem Weg zur Erleuchtung begegnen. Die nicht unbedingt garantiert wird, die aber klare Definitionen besitzt. Diese Landkarte ist äußerst genau und wenn du sie benutzt und mit ihr nach Innen gehst, gibt es, zumindest theoretisch, keine Fragen mehr.
Keine Fragen. Irgendwann ist wirklich alles durcherklärt, durchnummeriert, verschlagwortet, eingeordnet und durchgequatscht. Jedes Problem, jede unangeneme und auch angenehme Gefühlsregung lässt sich zurückverfolgen auf ein paar wenige Konstanten, du gehst eher und lieber in die Beobachterposition als dich mit dem Durcheinander zu beschäftigen, das menschliches Sein so mit sich bringt. Das heißt nicht, dass es gar keine Beschäftigung damit gibt, aber die Sichtweise ist eine gänzlich andere, entferntere.
Es ist etwas traurig vielleicht eingestehen zu müssen, dass die yogische Sichtweise dich des Staunens berauben kann. Die Lust, sich auf Intensives einzulassen, schwindet, weil aller Voraussicht nach das Intensive nur aus bestimmten Gründen intensiv sein wird, die du im Vorfeld klärst und deshalb ein Einlassen unnötig oder sogar unmöglich machen. Das gilt sicher für die Liebe, die Menschen so als Liebe bezeichnen, aus Gier oder Eitelkeit betrieben, und solcher Grundgefühle mehr, die wiederum aufgelistet und durchgequatscht wurden bis auf die Knochen.
Was meine Texte von damals und auch die der Anderen auszeichnet, ist die Bedingungslosigkeit, mit der wir uns einlassen und schreiben. Wir waren bereit zu erforschen, was da ist und uns nicht ruhen lässt. Da wurde gefühlt, gelacht und geweint, auch gestritten und reingegrätscht, mit einer Eindringlichkeit, zu der ich heute einfach keine Lust mehr habe. Sie würde mir nämlich die Stille nehmen, nach der es mich noch mehr sehnt.
Stimmt das denn? Ist da kein anderes Sehnen mehr? Kommt das Staunen aus der Erfüllung der Sehnsucht?
Sicherlich, jene Liebe hat viele Aspekte meiner eigenen Sehnsucht stillen können und vielleicht auch die der geliebten Person, trotzdem blieb die Liebe begrenzt – örtlich, zeitlich, alles-lich.
Wenn ich jetzt nochmal darüber lese, erstaunt mich eines: mein Staunen. Du bist der stürmische Morgen, so ganz plötzlich wehst du zu mir herüber, du Eskimoauge mit dreieckigen Brauen darüber als Segel, du Wüstenwind, der fremde Gewürze bringt aus dem Norden, du sonnenstrahlendes Lachen, du südliches Kissen, um das ich mich schlinge und dessen Goldstaub auf mir liegt den ganzen Tag. Wir unentdecktes Land.