Mittwoch, 1. Mai 2013
In der Nähe hatte ein neues Café eröffnet. Vorn am Tresen gibt es Kuchen im Glas und hinten im Garten hält ein immergrüner Baum die mittlerweile sehr warme Sonne vom Glühen ab. Das Croissant ist knusprig, selbstgemachtes Gelee dazu, der Cappucchino schön heiß, genauso so hatte ich mir den ersten Maivormittag gewünscht. Die Inhaberin rüselt noch ein wenig herum, legt Sitzkissen auf und Decken bereit, die heute sicherlich niemand benötigen wird, stellt Blumentöpfchen und Zucker auf die Tische. B., die Gärtnerin hat das Grafik- und Webdesign gemacht und hat statt Honorar lebenslang Freiessen.

Und trotzdem, es fehlt was. Es fehlt immer was. Nicht hier im Cafégarten, sondern mir. Innendrin. Das Außen ist sowieso nicht beherrschbar, immer gibt es zu tun, ist das eine erledigt, kommt gleich die nächste Forderung, es folgt hektisches Tun, mit der Erwartung danach werde sich endlich eine Gelegenheit ergeben, den Geist völlig zu entspannen und neu auszurichten. Was nicht gelingt. Auf dem letzten Yogaseminar im April konnte ich Swami (wieder mal) danach fragen, warum es so schwierig ist, den Geist im Unendlichen zu halten und das Weltliche so verlockend. Swami antwortet gewöhnlich, dass die Yogaphilosophie seit 5000 Jahren versucht, das Problem zu ergründen und dafür (oder dagegen) Übungen bereit hält. Maya. In einer Richtung des Yoga ist es nur die Maya, die Leiden bringt und in der nichts Bestand hat, in einer anderen ist die Maya und das rechte Handeln in ihr gleichzeitig jenes, das uns von ihr befreit. Kurz gesagt. Das alles hat natürlich unendlich viele Ebenen, Beschreibungen mit speziellem Vokabular und ist – tatsächlich nicht mal so eben begreifbar. Yoga ist nichts weniger als die Landkarte des menschlichen Geistes, aber auch nicht mehr. Reisen müssen wir selbst.

In der Luft liegt Verliebtsein. Ich höre Stimmen und Laute aus den umliegenden Häusern, freundliche Lebensäußerungen, Musik, angenehme Mann-und-Frau-Geräusche, wohlwollend, noch etwas verschlafen, ich stelle mir fremdes Verliebtsein vor, oder etwas, das ich damals für Verliebtsein hielt. Nach einigen schönen und anderen eher unangenehmen Liebeserfahrungen hatte ich mich in den letzten Monaten vorläufig vom Thema verabschiedet. Die Gleichzeitigkeit von Freude und Leid in der Liebe hatte ich endlich begriffen und trotzdem wollte (und will) ich sie so nicht hinnehmen. Dann lieber allein sein, die Zeit mit Freunden, Arbeiten und Reisen genießen, aber alles Nahe sollte mir besser fern bleiben.

Auf Grund von Äußerlichkeiten, die ich mit kurzen, scheuen Blicken von meinem Gegenüber aufnahm, verliebte ich mich vor ein paar Tagen in einen, äh ... männlichen Menschen. Ich schau ja immer nach Leuten, die mir begegnen, oft genug bin ich vorschnell im Urteil, was eigentlich nicht schlimm ist, ich denke ja bloß für mich. Als ich am Mittwoch vom Festakt zurückkam, gönnte ich mir einen Kaffee im Sonnenschein vorm Stammlokal am Markt. Die Person, um die es hier geht, kam vorbei und las die Tafel mit den ausgelobten Mittagsgerichten. Faul folgte mein Blick seinem und fragend landete seiner in meinem. Ich mochte diese Berührung, so flüchtig sie auch war. Der Mann ging weiter, aber aus einem plötzlichen Impuls heraus drehte er sich nach kurzem Blick aufs Handy, Smartphone oder was weiß ich, um und kam zrück. Ob hier noch frei sei, setzte er sich neben mich. Bestellte Suppe, später Kaffee, las ab und zu in einem Skript. Meinen Kaffee hatte ich bald getrunken und mir blieb nichts zu tun. Wir taten beide nicht viel, sondern saßen rum. Eineinhalb Stunden. Es war äußerst angenehm. Ich beobachtete ihn nun mit diesen heimlichen Blicken und nahm so Kleidung, Haare, Gesicht, Hände, Augen, Mund und kleine Anzeichen des Alterns in mein Gedächtnis auf.

Ein zärtliches Gefühl steigt auf. Ich seh dich gern an, seh deine kleinen Falten um die Augen, deinen Mund, dessen Lippen ein kleines Herz bilden, fast fraulich, deine Hände – es sind vor allem die Falten, die mich berühren und das leicht graue Haar, ein bisschen so wie meines. Vielleicht ist alles an ihm ein bisschen so wie Meines, vielleicht ist es deshalb so, dass ich mich vergucke und nicht aufhören kann, Blicke auf ihn zu werfen, aber immer so, dass er es nicht merkt.

Ob er Ähnliches erlebt, weiß ich nicht. Es ist mir auch egal.

Am Montag, nachdem ich meine Leipzig-Bewerbung zur Post gebracht hatte, belohnte ich mich mit Pasta im gleichen Café. Er war ebenfalls da, und weil es ansonsten brechend voll war, fragte ich ob ich mich mit an seinen leeren Tisch setzen könne. Er sagte freundlich zu, wieder verspeisten wir ohne miteinander zu reden unsere Gerichte und wieder fielen meine knappen Blicke auf seine Körperteile. Augenringe, Ohren, Hals. Und wieder dieses zärtliche Gefühl, sowas wie, ich möchte dabei zusehen, wie du alterst, ich möchte deine Hand mit meiner vergleichen, dazu müsste ich meine in deine legen und ich möchte noch viel mehr an dir sehen, möchte neben dir atmen und was machen.

Ob er Ähnliches erlebt, weiß ich nicht. Nach Außen jedenfalls bleibe ich gelassen. Diesmal geht er früher. Und auch für mich gibt es keinen Grund, länger zu bleiben.

Hier im Garten des Cafés sitzt nun auch ein Pärchen, den jungen Mann höre ich sagen, komisch, keine 20 Meter vom Bett draußen zu frühstücken. Ein bisschen verliebt bin ich mit ihnen.