Im Friedwald ist es frisch, der Wind weht und ich bin froh, dass der Bildhauer die Wolldecke dabei hat, die ich mir umlege und auch er kuschelt sich mit drunter, während wir auf den Holzbänken Platz nehmen, unsere Blicke auf den Redner heften, manchmal aber sehe ich mich um, alle frierend, die Kinder in den großen Jacken der Erwachsenen versteckt. Die Rede würdigt L.s gesamtes Leben. Ich sinke etwas in mich hinein, weil ich (mit einer Sonderform von Scham) begreife, wie wenig ich über ihn weiß. Fast nichts. Seine Sehnsucht nach einer besseren Welt hat uns zusammengebracht, uns Schulgründer. Seine Talente und Leidenschaften, sein Streben, sein Tiefblick, seine Abkehr vom normalen Herumgelebe. Die Sinnsuche. Alles ähnelt der meinen und ist doch anders, irgendwie eher auf der schweren, dunkleren Seite geblieben, wo ich mich doch auf dem Pfad der Erhobenen Herzen meine. Der Redner zitiert die Frauen mochten L. und er mochte die Frauen. Eine leise, sonderliche Eifersucht gerinnt in mir. Ich habe L. nicht als Mann gesehen, den ich zu erobern suchte. Unsere Begrüßungs- und Abschiedsumarmungen waren sorgfältig, fest und mittellang, und eher empfinde ich uns als Geschwister des Geistes, die sich spät erst getroffen, aber nicht zu Ende kennengelernt haben und nun ist er fort.

Ich glaubte mich ihm gegenüber als weiser, geklärter, beide aus dem Geschlecht der Besserwisser und Belehrer, auch Schwurbler, und doch meinte ich, ihm Ratschläge geben zu müssen, dann wiederum sah ich ihn als meinen Mentor, das stimmt auch. Politik, Ernährung, Meditation, gesundheitliche Maßnahmen. Wir beide hatten unsere eigenen Köpfe, natürlich.

Nach der Rede und etwas Musik, die uns zum Weinen und Lachen brachte, noch ein Blick auf das bereitgestellte Foto aus jüngeren Jahren und wieder das Gefühl, dieser jüngere L. ist mir fremd, dann den Weg zur letzten Ruhestätte. Ich kenne nur Begräbnisse mit Sarg und einer großen Öffnung im Erdreich, meist mit Plastikrasen umlegt und einer Art Holzsteg. Die kleine Höhle am Fuß des Baumes, dort bei der Lichtung – endlich ist es uns wieder warm, nach dem kurzen Gang dorthin und der Sonne auf den Schultern – übersehe ich fast. Nach ein paar geneigten Worten wird die Urne, die sich in einem halbdurchsichtigen Beutel befindet, an der Schnur herabgelassen. Jeder streut Blumen oder Erde hinein. Der Bildhauer und ich gehen zusammen mit T. und den Kindern und streuen auch. Unsere kleine Gruppe entfernt sich als erste. Die Kinder sind ungeduldig und wir auch.

Später im Garten sind alle wieder da und verzehren mitgebrachte Speisen. Die Stimmung ist sehr schön. An der Hecke sind mit kleinen Wäscheklammern Fotos von L. befestigt. Wieder schaue ich mit vorsichtigem Blick und sehe ein Leben, das mir nun endgültig verschlossen bleibt, L. und D. viel jünger, beide mit langem Haar und hippiesk am Strand mit ebensolchen Fahrzeugen oder im wilden Garten. Schnipsel ihrer beider Leben – L.s Blick in die Kamera und somit zu mir als Betrachter ist offen und intensiv. Ich fühle mich ertappt.