Topic: Auf Reisen
Lieber L., jetzt bist du nicht mehr hier bei uns. Du hast deine Reise angetreten, und während S. und ich mit dem Hund durch die Dämmerung liefen, über Felder im Taunus, über schotterige Wege in den dunkler werdenden Abend liefen und der Mond immer höher stieg und meine Gedanken bei dir waren – ich dachte, dass du diesen wunderbaren Vollmond als Abschiedslicht nehmen könntest, du tatest es auch, aber ich wusste noch nichts davon, erst als ich wieder zurück war und mich D.s Nachricht erreichte – S. und ich liefen mit dem Hund und ich dachte, allein würde ich mich vielleicht verlaufen, aber der Mond war still und hellgelb und S. und ich hatten ausgeredet, den ganzen Tag redeten wir, nicht ohne Missverständnis und ich fühlte mich unwohl, weil ich ihr dieses angeraten, jenem abgeraten, ihr Bemühen, sich zu erklären, nicht bestätigt hatte, weil ich es nicht verstand, noch nicht verstehen konnte, erst jetzt auf diesem Gang, es war mittlerweile dunkel, verstand ich es und ich entschuldigte mich dafür, und bei dir, lieber L., hatte ich das gleiche gemacht und mich selbst nicht verstanden. Ein paar Tage zuvor hatte ich begriffen – dass es nicht um mich geht, und wahrscheinlich ging es dir nicht mal um dich selbst, denn du warst damit beschäftigt, dich von dir zu lösen, von deinem schmerzenden Körper, und vor diesen paar Tagen, auf einmal, plötzlich, verstand ich, dass ich mich um dich nicht sorgen muss, es fiel alles ab und das war schön. Dies war ein egoistisches Gefühl von Leichtigkeit, das mir gegönnt wurde, und ich fühlte mich wieder ein bisschen eigen, aber dann nahm ich es so. Ich nahm Abschied von dir, ich nahm den Abschied an.
Der Bildhauer und ich sitzen im Garten und weinen. Lieber L., du bist der einzige Mann, mit dem mein Bildhauer nicht auf diese launische Art geredet hat, wie all diese Künstlerfreunde, in irgendeiner alten Konkurrenz gefangen und nicht fähig, ganz einfach, ohne Zynismus, ohne Abwehr, sich auszutauschen, sich anzufreunden und wie schön war es, wenn ihr beide in einer Ecke des Gartens verschwandet, über Kräuter und Pflanzen spracht, über Holz und Schnitzen und vielleicht auch ein bisschen über Männersachen, wer weiß, während ich mit deiner lieben Freundin D., die auch meine liebe Freundin geworden war, in einer anderen Ecke in der Sonne saß.
Ich erinnere mich... wir drei kannten uns noch nicht lange, wir wollten doch eine kleine Schule gründen, wir saßen in der Kirche bei einer Ausstellungseröffnung, M. begleitete die Veranstaltung auf dem Klavier, wir hockten in den Bankreihen und du sagtest, guck mal, der da hinten sieht aus wie der Bruder von Rainer Mausfeld. Es stimmte, aber die Idee, dass ich mit euch beiden in dieser Kirche die einzige sei, der Rainer Mausfeld ein Begriff war, war derart komisch, dass ich fünf Minuten Tränen gelacht habe – wer in dieser Quatsch-Stadt kennt schon den Herrn Mausfeld. Solcherart waren deine Witze und du hast mich oft zum Lachen gebracht. Auch du warst gern bereit, über meine kleinen Sachen zu lachen, selbst an diesem Abend, als es dir so schlecht ging, als du um deine Schmerzen geweint hast, selbst da hast du irgendeinem unwichtigen Detail meiner unwichtigen Erzählung gelauscht und gelacht.
Alles, was ich übers Leben und Sterben gelernt habe, von anderen oder selbst erfahren, steht mir nun zur Verfügung. Ich weiß, dass mein Mitempfinden deiner unendlichen Reise eine gewisse Genauigkeit besitzt. Ich weiß in etwa, wie es ist, Raum und Zeit zu verlassen und frei zu sein. Wie alles wird auch deine jetzige Erfahrung gefärbt sein von deinem Leben und deinen Erwartungen oder Befürchtungen an das Danach, vielleicht kannst du dich aber auch schnell lösen. Das weiß ich nun nicht.
Der Bildhauer und ich im Garten. Wir sagen fast gleichzeitig, und wir, machen wir weiter? Lieber L., es ist verlockend, dir jetzt zu folgen. Aber nein, wir bleiben, es gibt noch zu tun. Dieses kleine Land auf diesem verrückten Planeten; ich dachte, du würdest noch bleiben, um die Veränderungen mitzuerleben, auf die wir gehofft haben, noch immer hoffen. Ich hatte insgeheim auf ein Wunder gehofft. Deine Genesung, eine Erscheinung. Ich hätte an deinem Wunder teilgenommen, an deinem Glanz. Ich wäre mit dir gefestigt.
In der Nacht deines Abschieds träumte ich – ich sitze in der Straßenbahn und mache Dönekens mit einem Jungen, wir quatschen und lachen, die Bahn hält an deiner Haltestelle, der Junge springt heraus und ich sehe es kommen – er läuft direkt auf die Straße (hätte ich dich halten können, deine Schulter, dein Hemd greifen), aber ein Lastwagen ergreift ihn, fährt direkt in ihn hinein, mit diesem Geräusch, sehr laut, ich wende mich ab, ich will nichts sehen, die Leute starren aus den Fenstern, reglos, ich kniee auf dem Weg und weine. Dann drehe ich mich vorsichtig, um zu überprüfen, ob es wahr ist, ob ich wache oder träume. Vor dem LKW liegt allein – der LKW berührt sie mit den Vorderreifen – frische, dunkle Erde.
Der Bildhauer und ich sitzen im Garten und weinen. Lieber L., du bist der einzige Mann, mit dem mein Bildhauer nicht auf diese launische Art geredet hat, wie all diese Künstlerfreunde, in irgendeiner alten Konkurrenz gefangen und nicht fähig, ganz einfach, ohne Zynismus, ohne Abwehr, sich auszutauschen, sich anzufreunden und wie schön war es, wenn ihr beide in einer Ecke des Gartens verschwandet, über Kräuter und Pflanzen spracht, über Holz und Schnitzen und vielleicht auch ein bisschen über Männersachen, wer weiß, während ich mit deiner lieben Freundin D., die auch meine liebe Freundin geworden war, in einer anderen Ecke in der Sonne saß.
Ich erinnere mich... wir drei kannten uns noch nicht lange, wir wollten doch eine kleine Schule gründen, wir saßen in der Kirche bei einer Ausstellungseröffnung, M. begleitete die Veranstaltung auf dem Klavier, wir hockten in den Bankreihen und du sagtest, guck mal, der da hinten sieht aus wie der Bruder von Rainer Mausfeld. Es stimmte, aber die Idee, dass ich mit euch beiden in dieser Kirche die einzige sei, der Rainer Mausfeld ein Begriff war, war derart komisch, dass ich fünf Minuten Tränen gelacht habe – wer in dieser Quatsch-Stadt kennt schon den Herrn Mausfeld. Solcherart waren deine Witze und du hast mich oft zum Lachen gebracht. Auch du warst gern bereit, über meine kleinen Sachen zu lachen, selbst an diesem Abend, als es dir so schlecht ging, als du um deine Schmerzen geweint hast, selbst da hast du irgendeinem unwichtigen Detail meiner unwichtigen Erzählung gelauscht und gelacht.
Alles, was ich übers Leben und Sterben gelernt habe, von anderen oder selbst erfahren, steht mir nun zur Verfügung. Ich weiß, dass mein Mitempfinden deiner unendlichen Reise eine gewisse Genauigkeit besitzt. Ich weiß in etwa, wie es ist, Raum und Zeit zu verlassen und frei zu sein. Wie alles wird auch deine jetzige Erfahrung gefärbt sein von deinem Leben und deinen Erwartungen oder Befürchtungen an das Danach, vielleicht kannst du dich aber auch schnell lösen. Das weiß ich nun nicht.
Der Bildhauer und ich im Garten. Wir sagen fast gleichzeitig, und wir, machen wir weiter? Lieber L., es ist verlockend, dir jetzt zu folgen. Aber nein, wir bleiben, es gibt noch zu tun. Dieses kleine Land auf diesem verrückten Planeten; ich dachte, du würdest noch bleiben, um die Veränderungen mitzuerleben, auf die wir gehofft haben, noch immer hoffen. Ich hatte insgeheim auf ein Wunder gehofft. Deine Genesung, eine Erscheinung. Ich hätte an deinem Wunder teilgenommen, an deinem Glanz. Ich wäre mit dir gefestigt.
In der Nacht deines Abschieds träumte ich – ich sitze in der Straßenbahn und mache Dönekens mit einem Jungen, wir quatschen und lachen, die Bahn hält an deiner Haltestelle, der Junge springt heraus und ich sehe es kommen – er läuft direkt auf die Straße (hätte ich dich halten können, deine Schulter, dein Hemd greifen), aber ein Lastwagen ergreift ihn, fährt direkt in ihn hinein, mit diesem Geräusch, sehr laut, ich wende mich ab, ich will nichts sehen, die Leute starren aus den Fenstern, reglos, ich kniee auf dem Weg und weine. Dann drehe ich mich vorsichtig, um zu überprüfen, ob es wahr ist, ob ich wache oder träume. Vor dem LKW liegt allein – der LKW berührt sie mit den Vorderreifen – frische, dunkle Erde.
akrabke | 14. April 2025, 18:05 | 0 Kommentare
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