Eine sonderbare Gefühllosigkeit hat mich erfasst, eher noch eine Abwesenheit von dramatischem Empfinden, vielleicht könnte man es auch schlicht Ruhe nennen (ich kenne mich da nicht mehr so aus). Es ist äußerst angenehm. Obschon die Angenehmheit ja auch wieder Gefühl ist. Vielleicht hatte ich das bloß lange nicht, nicht mal das Schwelen ist mehr da, das mich die letzten Monate oder Jahre begleitet hatte – von zu erwartendem Telefonklingeln incl. Katastrophennachrichten oder der Vorstellung von vergeigten Arbeitsbeziehungen 2015 (Web/SEO/arsch). Also, ich räume auf.

2015 war auch das Jahr der spirituellen Krise. Mein Lehrer, mein Swami hatte im Sommer seinen Körper verlassen. In so einer Facebook-Gruppe wurden Bilder seines aufgebahrten Körpers verbreitet. Wir im Westen sind ja nicht so vertraut mit dem Anblick von Toten und auch hier waren es nur Bilder. Und Filme. Am Ende großartigster Zeremonien wurde der Körper mit einem beinahe abfälligen Schubs im Ganges versenkt. Man sollte ja frohlocken, wenn ein Meister sein mahasamadhi erreicht, aber mir war sterbenstraurig zumute. Ich klickte mich durch das unerträgliche Bildmaterial und heulte vor mich hin.

Nun, Anfang Februar, beginnen die Vorsätze und die Pillen zu greifen. Die Ayurvedin hatte ich wieder aufgesucht, den seit Monaten (oder Jahren) schmerzenden Ischias wollte ich doch lieber von ihr behandeln lassen. Dabei gelernt, das das Gesundheitswesen in Deutschland nicht gesund machen kann. Vielleicht will es das auch gar nicht, wer weiß. Die mickrigen sieben mal 20 Minuten Physiotherapie wurden nur ungern auf zwölf aufgestockt und kaum hatte man sich halbwegs eingefunden und warmgelaufen, war die Behandlung schon vorbei. Später habe ich mir dann köstliche ayurvedische Massagen geben lassen mit viel Öl und den Körper mit Nährstoffen überflutet.

Bin jetzt auch im Bilde, wie das Sozialwesen funktioniert, oder dass es nicht funktioniert. Eine meiner beiden Azubis hat die Ausbildung abgebrochen, es ist wirklich ein Problem, wenn man eine Ausbildung derart nachgeschmissen bekommt und sich kein Stück dafür anstrengen musste. Na, dann fange ich doch was anderes an, wenn ich hierauf keinen Bock habe, das Amt wird schon zahlen. Die Buddhistin, mit der ich bei der Diakonie zusammenarbeite, schreibt ihren Bachelor darüber, dass underdogs vom System selbst als underdogs gehalten werden, und wie bedürftig die soziale Arbeit überhaupt ist.

Über/hinter/unter alldem die kleine Mutter. Nach Hüft-OP, leichtem Schlaganfall und einer bedrohlichen Magen- und Darmerkrankung vorletze Woche (Mama, wenn du nicht trinkst, bist du in drei Tagen tot – dass ich sowas mal zu jemandem sage – ) ist sie wieder obenauf, sie erzählt mir tausend Begebenheiten im Heim, die Karnevalfeier hätte ihr gefallen, sogar ein Hütchen hat sie aufbekommen. Ein Hütchen. Wir grinsen uns an. Ich bin heute wirklich überhaupt nicht besorgt. In den letzten fünf Jahren hatte ich mindestens 50 Mal gedacht, sie stirbt jetzt gleich, nun isses soweit, wahrscheinlich zermürbt das den Geist, der das Sterben als gefühlsbeladenes Bild schon tausendmal vorweggenommen hat, und irgendwann glaubt man nicht mehr an den Tod. Ganz einfach.