Neuerdings beschäftige ich mich ja mit Gartensachen. Die Saat begießen und so, und warten bis sie sprießt, also mit dem Leben in seiner ursprünglichen Funktion, als äh, Lebensspender. Anscheinend geht damit einher, dass die kleinen Probleme des persönlichen Lebens, wenn nicht verschwinden, so doch wenigstens unwichtiger werden.

Zwecks Erkundung größerer Lebenszusammenhänge fuhren eine Gruppe Interessierter mit Bahn und Bus los, um den Niedernstöckener Friedenshof zu besuchen. Sieben Menschen leben dort auf einem Bauernhof mit jeder Menge Fachwerk und Lehm. Das Konzept der Gemeinschaft beruht auf dem der Arche, die in den 70ern aus der Friedensbewegung entstanden ist. Die Begründer, ein Ehepaar, sind demnach Alt-68er, ein weiteres Paar ist etwa so alt wie ich und die jüngsten Mitte 20. Zum Lebenserwerb bewirtet man den Hof, hält Schafe und baut Gemüse und Obst an. Des weiteren werden Seminare angeboten, die sich mit rechtem Menschsein beschäftigen, durchzogen von Achtsamkeit und Spiritualität, angesiedelt irgendwo in der Mitte aktueller Strömungen (Buddhismus, Christentum, Yoga, Kunst- und Stimmtherapie etc.).

Praktizierte Achtsamkeit. Speziell ich bin besonders achtsam, was subtile Anzeichen von Esoterik betrifft. Ich kann mich aber entspannen. Bis auf anthroposophisch gerundete Ecken an selbstgezimmerter Innenarchitektur und lieb gemeinten bunten Lehmfresken ist die Gestaltung der Häuser, Gärten und Felder erdverbunden und folgt praktischen Erwägungen. Es gibt Gästezimmer unterm Reetdach und in Bauwägen, gemeinsames Kochen, morgendliche Meditationen, abendliches Feuer im Garten und stündliches Glockengeläut, das zum Innehalten läd. Unsere Gruppe ist neugierig und wir schauen und fragen und prüfen die Möglichkeiten, die ein verbindliches Miteinanderleben bringen. Wäre das nicht auch was für uns?

Bevor wir einen Rundgang über das Gehöft unternehmen, schnippeln wir gemeinsam Kartoffeln, Rüben und Sellerie, von denen die Frauen des Hauses ein veganes Mittagsmahl bereiten, das in der großen Halle des über 400 Jahre alten Haupthauses eingenommen wird, einfach und sehr lecker, im Rücken Ofenwärme, obendrüber vom Alter und offenen Feuern aus vergangenen Zeiten geschwärzte Eichenbalken. Während der Begehung schauen wir in jede Ecke, die Holzwerkstatt wird gewürdigt, das Rundbeet für heimische und andere Wild- und Heilkräuter, das Zwei-Hektar-Feld mit Bauwagen weit hinten als Rückzugsmöglichkeit, romantische Sitzecken, ein uralter Brunnen, weitere Beigebäude auf plattem Land und die Scheune, in deren Nord-Ecke helle und dunkle runde Milchschafe stehen und sich sofort kraulen lassen, ihre Wolle so dick, dass die Finger kaum bis zur Haut durchkommem, während die frechen Hühner überall auf dem Gelände herumscharren. Auf laut krähende Hähne hat man auch hier keinen Bock, sobald sie geschlüpft sind, "gibt man sie weg", was auch immer das bedeutet.

Wir sehen und lernen viel. Eine grundsätzliche Frage nimmt in mir Gestalt am: Wo kommt das Geld her? Am Nachmittag ist Zeit, ausführlich darüber zu reden, wir treffen uns im Seminarraum unterm Dach des kürzlich erbauten Niedrigernergiehauses. Es gibt ein bisschen Eso-Alarm, als wir Morning Has Broken singen und etwas Rumtanzen. Ist dann aber doch ganz schön. Die Buddhistin, die auch dabei ist mit Freundin, zwinkert mir zu.

Jetzt sitzen wir alle in der Runde auf wohlgestopften Meditations-Kissen und jede/r, die Ausflugsgäste und die Bewohner erzählen von ihren Vorstellungen, Wünschen und Hoffnungen, die sich an ein Leben in Gemeinschaft knüpfen. Da wir mittlerweile einen Einblick bekommen haben, wie eng sowas sein kann, stelle ich fest, dass mir mein Leben in der Stadt, allein in einer lieben Wohnung, Freunde, die um die Ecke wohnen und einem guten Café, viel zu gut gefällt, als dass ich es gegen das hier eintauschen würde. Natürlich fehlt mir manchmal die Natur und eine geistige Gemeinschaft, all das könnte ich hier finden, in dem ich ab und an zu Besuch komme, ein bisschen im Garten buddele und in der Küche Selbstgeerntetes zubereiten helfe. So stelle ich mir das vor, und offensichtlich ist dafür auch Raum und Bedarf. Es gäbe immer viel zu tun, und gerade in den letzten Jahren, berichtet die Älteste, hätte sie weniger Freizeit denn je gehabt. Wer sich hier als Gast zurückziehen möchte, wird kaum Gelegenheit finden, sich mit einem guten Buch auf die schöne Bank dort unterm Baum zu setzen, weil jede helfende Hand vonnöten ist, das System aufrecht zu erhalten.

Da ich ausgeklügelte Finanzsysteme grundsätzlich erstmal nicht verstehe, kann ich nur grob wiedergeben, wie dieses hier funktioniert. Es gibt einen Verein, bei dem die Bewohner z. T. angestellt sind und der Geldmittel vom Staat abgreift, und eine andere Gruppe von Interessierten, denen der Hof gehört und ihn ohne Gewinninteresse an die Gemeinschaft vermietet. Die Seminare sind eine weitere Einnahmequelle und auch die Überschüsse aus der Landwirtschaft, ebenso Spenden. Es gibt eine gemeinsame Kasse, in der alles Geld verwaltet und Ausgaben getätigt werden. Wenn Arbeiten anfallen, die keiner der Bewohner ausführen kann, z. B. dieses Jahr das Reetdach neu decken, werden Fachkräfte dafür normal entlohnt werden müssen. Auf die Frage, wie das alles funktioniert, wird lachend erwidert, das wüsste man nicht ganz genau, aber es würde seit über 30 Jahren irgendwie gehen. Na, schön. Trotzdem entdecke ich den Zipfel Kapitalismus und würde gerne mal an ihm zupfen. Es gibt also Geldgeber, ohne die man den Hof nicht hätte erwerben können. Und auf die Gelder vom Staat lässt sich auf keinen Fall verzichten. Natürlich, den Versuch, vollkommen autonom zu leben, hätte man schnell als unrealistisch aufgeben müssen.

Fast schon am Ende der Runde schwebt ein weiteres Thema im Raum, die Altersvorsorge. Da die Arche-Projekte allesamt noch keine Erfahrungen damit haben, wird man es auf sich zukommen lassen. Es klingt aber schon an, dass der Friedenshof kein Gnadenhof sein kann, der seine alt gewordenen Menschen zu pflegen imstande ist. Die Älteste ist immerhin schon 74 Jahre alt, aber noch rüstig genug, um mitzuwirtschaften. Da alle Bewohner nur minimal in die Rente einzahlen konnten, wird das Wenige der Gemeinschaftskasse nicht für alle reichen, wenn jemand wegen Altersschwäche ausfällt.

Bedeutet alt oder krank sein den Auszug aus der Gemeinschaft, für die die beiden Ältesten sich ihr halbes Leben mit Leib und Seele eingesetzt haben? Um dann am Ende des Lebens verarmt in einem hässlichen Heim zu enden, wo der Pfleger nur drei Minuten Zeit für sie hat? Es macht mich traurig, dass es sich fast so anhört. Aber wer weiß, vielleicht wird auch diese Unmöglichkeit gemeistert werden.

Voller widersprüchlicher Eindrücke kehre ich zurück, kuschele mich in mein Bett und genieße Einsamkeit und Stille.





Freund K. ist auf einem Demeterhof aufgewachsen, auf dem alle ihr Geld zusammenwerfen (ich hab mir immer eine Blechdose vorgestellt). Jeder nimmt raus was er braucht, seit über 30 Jahren. Kein Verein oder so, nur Landwirtschaft. Und das klappt? Mal besser, mal schlechter, sagt der K., aber es klappt.

Als er dann mal hier auf einem großen Camphill-Hof bei den Kühen gearbeitet hat, hat er mir erzählt, dass das mit der Altersvorsorge bei denen eine echte Zeitbombe ist. Schrecklich. Aber die werden es nicht schaffen, die erste Generation, die jetzt langsam nicht mehr arbeitsfähig ist, mitzuziehen. Trotz langjäriger harmonischer Lebensgemeinschaft. Ich finde das sehr tragisch.

Ja, genau. Ich kann mich eines Gefühls der Nutzlosigkeit allen Bemühens nicht erwehren. Trotzdem kann man sagen, sie haben bestimmt ein schönes und irgendwie richtiges Leben gehabt, das ganz ihren Vorstellungen entspricht – bis dahin. Wer hat das schon. Als wäre das nichts wert. Erst schön und am Ende schrecklich ist immer noch besser als die ganze Zeit schrecklich, oder?

Edit: Hier habe ich gerade noch etwas gelesen:
www.sein.de/gesellschaft/gemeinschaften/gemeinschaft-tempelhof-ein-gluecksfall-.html

Schön. Wie gut, dass so was klappen kann.
Und nix für mich. Ich strebe nicht nach Gemeinschaft, ich tendiere eher da hin. Aber das wissen Sie ja. Und Sie? Leben in der Stadt, allein in einer lieben Wohnung. Kommt mir stimmig vor. Und regelmäßig in der Erde wühlen. Meine Rede!

Und ich? Ich kann hier gar nicht weg, ich betreibe nämlich ein kleines gutgehendes Wellness-Hotel auf der Fensterbank, die ersten Gäste sind schon eingezogen.
Ja, das hier ist sehr stimmig. Mit einer Horde Wildbienen zusammen ist die Einsamkeit zu ertragen das Alleinsein doppelt schön.