Topic: erzaehlt
Ein schönes Wort, das ich seit seinem Aufkommen in meinem Geistgefäß herumschwenke. Ich mag die zwei rs und die beiden as, die erstere halten und das Senkrechte und Kursive von N, i und v.
Genauso fühle ich mich gehalten von Narrativen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich bin alle gleichzeitig – die furchtlose Spaziergängerin, deren Atem stets frei fließt, ich bin die Einkäuferin, die aus Rücksicht hinter ihrer Maske japst; ich bin die angebliche Verschwörungstheoretikerin, die Leugnerin und gleichzeitig, in einem Akt des Zwiedenkens, finde ich das zersetzende Handeln der Regierung plausibel; ich pendele zwischen Wut und Angst, während schon erlösende Versprechen locken; ich lebe in einer Dystopie, die 1984 gleicht, in einer schrecklich gleichgeschalteten Matrix, die Demokratie und jegliches magische Selbstverständnis untergräbt, – und über allem die Sterne, die eine wunderbare Zeitenwende voraussagen, nur Geduld.
1984 – Lizenzausgabe des Diana Verlages, Baden-Baden 1950, Einbandentwurf: Kurt Hilscher
1984 als Taschenbuchausgabe von 1950 hatte ich vor vielen Jahren, Jahrzehnten, aus dem Bücherregal meines Vaters entwendet – und nicht mehr wiedergefunden. Vorgestern trat ich erneut suchend vor meine Büchersammlung und mein Blick traf sofort den dunkelroten Leinen-Buchrücken mit den schwarz gedruckten Ziffern. Ich hatte es als junge Frau von 16 oder 17 Jahren gelesen, vielleicht noch einmal in meinen Dreißigern, den Film ein- oder zweimal gesehen. In meiner Erinnerung kommt der Film nicht an die Schrecklichkeit des Buches heran. Wie sehr es mich geprägt hat, erkenne ich beim nochmaligen Lesen der letzten Tage. Der fürchterliche Höhepunkt der Erzählung ist die Festnahme Winstons und die über Monate währenden Folterungen und Gehirnwäsche. Die schließlich in Zimmer 101 stattfindenden Umschulungen, während der die wahnhaften Vorstellungen der Partei wieder und wieder von O'Brian eintrichternd diskutiert werden, ermöglichen erst noch Winstons kritischen Protest, der zuletzt endgültig vernichtet wird durch Androhung des (für Winston) Allerschrecklichsten.
Als wäre das nicht genug, klingen die Ausführungen O'Brians plausibel. "Wir kontrollieren die Materie, weil wir den Geist kontrollieren. Die Wirklichkeit spielt sich im Kopf ab. Sie werden Schritt um Schritt lernen, Winston. Es gibt nichts, was wir nicht machen könnten. Unsichtbarkeit, Levitation – alles. Ich könnte mich von diesem Boden erheben, wenn ich es wollte. Ich will es nicht, weil die Partei es nicht will. Sie müssen sich von diesen dem neunzehnten Jahrhundert angehörenden Vorstellungen hinsichtlich der Naturgesetze freimachen. Die Naturgesetze machen wir."
Ähnliches wird auch von gewissen spirituellen Meistern behauptet. Was das betrifft, stecke ich genauso in einem yogischen Narrativ fest. Mich erschreckt die Stärke der Kraft der Behauptung. Ihr nachgebend würde ich alles glauben! Die Frage ist, was können wir glauben? Welches Narrativ ist das richtige, das wahre? Wo finde ich wahre Wahrheit? Was kann ich wirklich zweifelsfrei wissen? – Ich bleibe dran; in der Zwischenzeit hören Sie die aktuellen Nachrichten. (Nicht vergessen: Ozeanien liegt mit Ostasien im Krieg.)
Genauso fühle ich mich gehalten von Narrativen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich bin alle gleichzeitig – die furchtlose Spaziergängerin, deren Atem stets frei fließt, ich bin die Einkäuferin, die aus Rücksicht hinter ihrer Maske japst; ich bin die angebliche Verschwörungstheoretikerin, die Leugnerin und gleichzeitig, in einem Akt des Zwiedenkens, finde ich das zersetzende Handeln der Regierung plausibel; ich pendele zwischen Wut und Angst, während schon erlösende Versprechen locken; ich lebe in einer Dystopie, die 1984 gleicht, in einer schrecklich gleichgeschalteten Matrix, die Demokratie und jegliches magische Selbstverständnis untergräbt, – und über allem die Sterne, die eine wunderbare Zeitenwende voraussagen, nur Geduld.
1984 – Lizenzausgabe des Diana Verlages, Baden-Baden 1950, Einbandentwurf: Kurt Hilscher
1984 als Taschenbuchausgabe von 1950 hatte ich vor vielen Jahren, Jahrzehnten, aus dem Bücherregal meines Vaters entwendet – und nicht mehr wiedergefunden. Vorgestern trat ich erneut suchend vor meine Büchersammlung und mein Blick traf sofort den dunkelroten Leinen-Buchrücken mit den schwarz gedruckten Ziffern. Ich hatte es als junge Frau von 16 oder 17 Jahren gelesen, vielleicht noch einmal in meinen Dreißigern, den Film ein- oder zweimal gesehen. In meiner Erinnerung kommt der Film nicht an die Schrecklichkeit des Buches heran. Wie sehr es mich geprägt hat, erkenne ich beim nochmaligen Lesen der letzten Tage. Der fürchterliche Höhepunkt der Erzählung ist die Festnahme Winstons und die über Monate währenden Folterungen und Gehirnwäsche. Die schließlich in Zimmer 101 stattfindenden Umschulungen, während der die wahnhaften Vorstellungen der Partei wieder und wieder von O'Brian eintrichternd diskutiert werden, ermöglichen erst noch Winstons kritischen Protest, der zuletzt endgültig vernichtet wird durch Androhung des (für Winston) Allerschrecklichsten.
Als wäre das nicht genug, klingen die Ausführungen O'Brians plausibel. "Wir kontrollieren die Materie, weil wir den Geist kontrollieren. Die Wirklichkeit spielt sich im Kopf ab. Sie werden Schritt um Schritt lernen, Winston. Es gibt nichts, was wir nicht machen könnten. Unsichtbarkeit, Levitation – alles. Ich könnte mich von diesem Boden erheben, wenn ich es wollte. Ich will es nicht, weil die Partei es nicht will. Sie müssen sich von diesen dem neunzehnten Jahrhundert angehörenden Vorstellungen hinsichtlich der Naturgesetze freimachen. Die Naturgesetze machen wir."
Ähnliches wird auch von gewissen spirituellen Meistern behauptet. Was das betrifft, stecke ich genauso in einem yogischen Narrativ fest. Mich erschreckt die Stärke der Kraft der Behauptung. Ihr nachgebend würde ich alles glauben! Die Frage ist, was können wir glauben? Welches Narrativ ist das richtige, das wahre? Wo finde ich wahre Wahrheit? Was kann ich wirklich zweifelsfrei wissen? – Ich bleibe dran; in der Zwischenzeit hören Sie die aktuellen Nachrichten. (Nicht vergessen: Ozeanien liegt mit Ostasien im Krieg.)
akrabke | 30. Juni 2020, 15:29 | 0 Kommentare
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